Dienstag, 2. August 2011
Journalismus und PR
In einer Publikation von Netzwerk Recherche, die aus einer Konferenz entstand, sind verschiedene Texte zu diesem Thema zusammengefasst: Getrennte Welten? (http://www.netzwerkrecherche.de/Publikationen/nr-Werkstatt/04-Journalismus-und-PR/) Interessant ist der Hinweis Thomas Leifs, die Diskussion sei schon fast 100 Jahre alt. 1928 hat Edward Bernay in "Propaganda" PR und Propaganda gleichgesetzt und die PR als Führungsinstrument demokratischer Öffentlichkeit entlarvt. Ein sehr interessanter Ansatz. Ich werde mir das Buch gleich besorgen. PR, die Propaganda des Marktes, Aushöhlung der Demokratie.

Meiner Meinung nach hat die Demokratie ja schon lange einen neuen Feind, nicht autoritäre Führer oder totalitäre politische Systeme sondern den Markt, die freie Wirtschaft. Ist man vor allem in Deutschland darauf bedacht die vierte Säule, die Medien, vor politischem Einfluss zu schützen, wird gleichzeitig viel zu wenig dafür getan, die Medien vor dem freien Markt, dem System der Wirtschaft zu schützen. Ganz im Gegenteil, die Medien gehören zum System - eine Ausnahme bilden teilweise die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten - und geraten immer tiefer in den Strudel wirtschaftlicher Rentabilität. Warum hat darauf niemand ausreichend bei der NR-Konferenz hingewiesen? Die Autoren beklagen reihenweise einen immer mehr von PR abhängig werdenden Journalismus, appellieren an Unabhängigkeit, Ideale und Moral der Journalisten. Aber wieso sollten Journalisten das machen, was im allumfassenden System des freien Marktes überhaupt nicht mehr vorgesehen ist, was nur noch in Nischen existiert? Warum soll im System des Journalismus nicht gelten, was mittlerweile fast in allen Systemen gilt? Warum sollen sich gerade im Bereich der Medien, des Journalismus, ideologische Kriterien gegen die alles beherrschenden Kriterien des Marktes, der Wirtschaftlichkeit, der Effizienz und der Rentabilität durchsetzen? Wird da von einem einzelnem System nicht etwas viel verlangt, müssen sich nicht vielleicht mehrere Systeme zusammen schließen, etwa das politische, das künstlerische und das journalistische, um gemeinsam diese einseitige Machtverteilung zu bekämpfen?

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Montag, 1. August 2011
Parallelwelten II
Es ist so weit: ich bin nicht mehr ans Krankenhausbett gefesselt, sondern darf aufstehen und die Umgebung erkunden. Das Hospital liegt im Zentrum von St. Johann in Tirol, die Sonne scheint, es ist warm und Touristen-Hochsaison. Gegenüber auf dem Gehsteig schieben Urlauber ihre Massen durchs Dorf und Stammgäste stolzieren wie auf einem open-air Laufsteg: Extensions in den Haaren, aufgeblasene Lippen im Gesicht, schwindelhohe Schuhe unter den Fersen, gehüllt in eine sinnesvernebelnde Parfümwolke ziehen sie, ihre Augen hinter großen, dunklen Scheiben versteckt, durch die Straßen. Gelangweilt fahren sie in Bahnen auf verschandelte und abgeholzte Berge, kaufen überteuerte Trachtenaccessoires in Nobelläden und räkeln ihre Luxuskörper versteckt hinter Hotelmauern in der Sonne. Wer eigentlich, fragt man sich - selbst in elegante Thrombosestrümpfe und ein überweites Nachthemd gekleidet - findet diese künstlichen Geschöpfe mit ihren blondierten Mähnen und tätowierten Lidstrichen (damit sind nicht nur Frauen gemeint) eigentlich schön? In meiner Welt jedenfalls keiner, in deren Universum scheinen andere Gesetze zu gelten - zum Glück lebe ich in einer Parallelwelt!

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Sonntag, 31. Juli 2011
Parallelwelten I
Es gibt sie wirklich: Menschen, die Samstagabend Musikantenstadl schauen - genau so ungesund braun wie die Michis, Steffis und Marias auf dem Bildschirm - und die ernsthaft Julia-Liebesromane vom Bahnhofskiosk lesen, aber mit ihrem Mann kaum ein Wort wechseln. Ein Exemplar davon liegt gerade neben mir im Krankenhaus. Beim Beobachten kommt es mir wirklich so vor, als sähe ich in ein Paralleluniversum. Von meinem Leben scheint das ihrige mindestens so weit entfernt wie OGLE-2005-BLG-390Lb von der Erde. Jetzt könnte man ja meinen, diese Spezies sei vom Aussterben bedroht, aber nein: der Schlagernachwuchs ist jung. Angelo ist nicht älter als Mitte zwanzig und trotzdem stellt er sich mutterseelenalleine unter blitzblauem Sonnenhimmel auf eine Bühne und singt vom Sommer und seinem Herzen, bleckt seine strahlend weißen Zähne in die Kamera und läuft dynamisch auf und ab. Einen Stock tiefer stehen und sitzen die in die Jahre gekommenen Fans, klatschen eifrig mit und wackeln mit ihren Hüftprotesen. Wahrscheinlich gibt es von diesen Schlager-hörenden, Liebesroman-lesenden braungebrannten immer etwas gelangweilten Eheleuten mehr als ich mir vorstellen kann und wahrscheinlich geht man bei seiner Einschätzung wie immer viel zu sehr von seinen subjektiven Erfahrungen und seinem direkten Umfeld aus. Und wahrscheinlich ist meine Welt für diese Leute noch weiter entfernt als OGLE-2005-BLG-390Lb von der Erde.

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